Inbegriff Briloner Brauchtums und Traditionspflege ist der Schnadezug, mit dem die Briloner Bürger im zweijährigen Rhythmus in insgesamt fünf Abschnitten ihre Grenzen kontrollierend abgehen. Der Begriff Schnade kommt von schneiden im Sinne von trennen und steht für die Grenzen zwischen verschiedenen Territorien.
Der erste überlieferte Schnadezug fand am 24. Juni 1388 statt, wobei die Stadt Brilon mit der Grafschaft Waldeck einen Vertrag über die Grenzziehung zwischen der Keffliker und der Willinger Mark abschloss. Spätestens seitdem werden die durch Steine markierten Grenzen regelmäßig kontrolliert, lange Zeit alle vier Jahre, seit etwa 1770 (gesichert überliefert ab 1824) alle zwei Jahre. Eine bedeutende Rolle bei der Schnade spielten die Schützen, die als waffentragende Organisation bei Grenzstreitigkeiten den Forderungen ihrer Stadt Nachdruck zu verleihen hatte.
Der Brauch der Schnade war früher auch anderweitig üblich. So forderte z.B. 1723 der Kölner Erzbischof ausdrücklich die regelmäßige Kontrolle der Grenzen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ließen der damalige hessen-darmstädtische Landesherr sowie nach 1830 die Preußen die Grenzen vermessen, um eine Grundlage für die Erhebung von Grundsteuern zu bekommen. Der eigentliche Zweck der Schnadezüge war damit hinfällig. Als 1840 ein Schnadeteilnehmer bei einem Streit zu Tode kam, verboten die Preußen diesen immer mehr zu einem Volksfest geratenen Brauch, der zu diesem Zeitpunkt neben Brilon in näherer Umgebung nur noch in Hallenberg und Medebach ausgeübt wurde. Nach einem 1844 nur von Offiziellen begangenen Schnadezug wurde dieser nach mehrmaligen Ersuchen erst wieder 1848 erlaubt. Solche Unterbrechungen sind sonst nur für Kriegszeiten bekannt. In den letzten drei Jahrzehnten lebt diese Traditionen auch in vielen anderen Orten des Sauerlandes wieder auf, ohne jedoch nur annähernd die große Resonanz des Briloner Schnadezuges zu erreichen.
Alten Traditionen folgend verläuft auch heute der Schnadezug, dessen Teilnehmer jedem Wetter trotzen, innerhalb fester Regularien. Fast immer um Johanni (24. Juni) stattgefunden, wird heute das seit 1569 in der Nähe desselben Termins stattfindende Schützenfest seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts am Montag für den Schnadegang unterbrochen. Briloner, die es in die Fremde geschlagen hat, zieht es zu diesem Tag zurück in die Heimat, wobei sogar die Weltmeere kein Hindernis darstellen.
Früh morgens trifft sich die männliche Bevölkerung am Marktplatz. Die Schützen holen den Bürgermeister und den Stadtschreiber mit Schnadestandarte sowie Forstdirektor, Schützenmajor und Schützenkönig ab, die neben dem Schützenadjutanten und dem Träger der Bürgerfahne zu Pferde die Schnade begehen, nachdem bis vor einigen Jahren noch ein großer Tross von Reitern zum Bild der Schnade gehörte.
Nach Begrüßungsworten, Verlesen des Schnadeweges, Gesang sowie Salutschüssen durch die Revierförster setzen sich unter klingendem Spiel tausende von Männern, angeführt durch die Mannesjugend, die Reiterei und die Schützen, in Bewegung. Wie ein Kilometer langer Lindwurm ziehen sie zur Grenze, wo der erste Schnadestein (Grenzstein) wartet. Der Stadtschreiber verliest einen Gruß an und von dem Stein (siehe unten) sowie Grenzverträge, die dort vor vielen Generationen geschlossen wurden. Mit Delegationen der Grenznachbarn werden die heute freundschaftlichen Beziehungen bekräftigt.
Anschließend werden deren Teilnehmer unter dem Schlachtruf "Düt is alles use!" (Das gehört alles uns!) gestutztäst, d.h. mit dem Hinterteil dreimal vor den Stein gestoßen. Diese Prozedur müssen im Laufe des Tages an verschiedenen Grenzsteinen, insbesondere am Frühstücks- und Lagerplatz, alle Neubürger und Erstteilnehmer der Schnade über sich ergehen lassen. Der Brauch soll nach mündlicher Überlieferung auf unsere sächsischen Vorfahren zurückgehen, die ihrem Nachwuchs an der Grenze eine schallende Ohrfeige versetzt haben sollen, damit sie sich durch den Schmerz und Schrecken die Örtlichkeit der Grenze einprägen. Eine Urkunde und Plakette sind heute Dank und Erinnerung an diesen Akt, ohne den man kein echter Briloner werden kann. Die den Neubürger zum Stein Tragenden lassen sich die Strapazen ihrer "Patenschaft" durch eine flüssige Runde desselben versüßen.
"Schnadebruder, vergiß nicht, nach der Verlesung des ersten Rezesses, den Grenzstein mit Deinem Blumenstrauß vom Hut zu krönen und einen Eichenbruch an Deinen Hut zu stecken!"
Vom ersten Stein der Grenze entlang wird am späten Vormittag der Frühstücksplatz erreicht, wo bis mittags eine Rast eingelegt wird. Von hieraus geht es weiter, immer noch der Grenze folgend, bis zum Lagerplatz, zu dem auch die Damen Zugang haben. Volksfestartig wird hier gefeiert, bis am frühen Abend der Rückmarsch zur Stadt beginnt, jedoch nicht ohne vorher für die nächsten zehn Jahre Abschied vom letzten Schnadestein genommen zu haben. In der Stadt angekommen, zieht die nun durch die Frauen vergrößerte fröhliche Schar unter dem Geläut der Kirchturmglocken dreimal um den Kump, den Petrusbrunnen auf dem Marktplatz, wobei sich dieser Kreis der Größe wegen bis zur Oberen Mauer auf die Straßen rund um den Markplatz ausdehnt. Mit der Verabschiedung der Offiziellen der Stadt und der Schützen nebst Schnadestandarte und Fahnen auf der Rathaustreppe endet der Zug, bis es in zwei Jahren wieder heißt: "Brilon, auf zur Schnad´!
Begrüßung des Schnadesteins:
Sei uns gegrüßt viel tausend Mal
Von Bergeshöh, aus tiefem Tal,
Du alter, alter Schnadestein,
Stehst immer noch auf Deinem Rain!
Trägst noch den Schlüssel und das Kreuz,
Prangst noch in deinem alten Reiz,
Drum sei dir auch für treue Wacht
Ein donnernd Vivat ausgebracht!
Der Stein grüßt die Schnadebrüder:
Ich grüße euch, ihr Schnadebrüder!
Erscheint ihr endlich einmal wieder?
Den Dienst hab ich getreu vollbracht,
Gestanden hier auf treuer Wacht.
Hab nicht gewankt in meiner Treu,
Gezeigt die Schnade ohne Scheu
Dem Wanderer, der vorüberzog;
Hab wohl verdient ein dreifach Hoch!
Zu Brilon meldet froh die Kunde,
Dass ich hier stehe bis zur Stunde
Als treuer Wächter, Schutz und Hort
An dem mir anvertrauten Ort.
Und ferner werd´ ich hier bewachen,
Mag´s oben blitzen oder krachen,
Den Posten hier mit aller Treu,
Bis wieder zieht die Schnad herbei.
Verabschiedung des Schnadesteins:
Leb wohl, leb wohl, du alter Stein!
Steh hier bei Sturm und Sonnenschein,
Steh fest auf deiner alten Wacht,
Wenngleich der Donner dich umkracht!
Steh fest auf deiner Stelle da,
Wie dich der Väter Schar hier sah,
Und wenn die Schnade wiederkehrt,
Sei dann ein lautes Vivat wert!
Und stehst du da an deinem Ort
Als dieser Grenze treuer Hort,
Ehrt dich der Musik Jubelschall
Und der Geschütze Donnerknall.
Dann zieht um dich die ganze Schar,
Umkränzt dein altes Greisenhaar,
Und jauchzt dir zu ein donnernd Hoch.
Wie´s je zum Himmel aufwärts zog.